Ein Weihnachtsfest auf Umwegen

Bridget Sabeth


Was ist Weihnachten?

Fauli Igel ächzte. Er spürte jeden Knochen nach der langen Winterruhe. Langsam löste er sich gähnend aus seiner Kugelform, streckte die Beinchen und die Hunderte spitzen Stacheln. Sein Näschen schnupperte. »Jaaaa, endlich – das ist der Duft des Frühlings!« Wie zur Bestätigung knurrte sein Magen. Erschrocken schaute er an sich runter. »Mein ganzer Winterspeck ist weg.« Eilig kam er auf die Beine, schwankte.

»Huch, langsam Bruder! Oder willst du mich platt machen? Bist wohl über die Monate alt geworden.« Rike Marienkäfer zwinkerte ihm von der Seite her zu.

»Du musst reden, Kugelporsche. Dein Rot war im Herbst deutlich intensiver.«

»Tja, aber im Gegensatz zu dir, bin ich schon losgebraust, hab leckere Milben und eine Blattlaus gefunden.« Rike entfaltete zufrieden ihre Flügelchen, ließ sie kurz flattern. »Und jetzt such ich mir ein kuscheliges Plätzchen für ein Mittagsschläfchen.«

»Mittag!« Fauli spürte, wie ihm der Speichel im Mund zusammenrann. So ein kleines Käferlein wäre fein!

»Untersteh dich!«, platzte es aus Rike hervor. »Such dir bloß ein anderes Fressen!« Schon hastete sie in die Ritze im angrenzenden Holzbrett, das zu einer riesigen hölzernen Wand gehörte. Dahinter verbarg sich loses, duftendes Heu.

»Schade!« Fauli stapfte hungrig unter dem großen Heuballen hervor, wo er sein Winterquartier gefunden hatte. Sein Spürnäschen zeigte gleich Erfolg. Er sammelte eine Spinne nach der anderen ein, mampfte eine Fadenwurm, tapste weiter bei der Tenne hinaus und gelangte mitten in den Stall.

 »Guten Morgen Schlafmütze!«, meckerte die Ziege Bonita. »Hast dich in den letzten Monaten aber gut versteckt!«

Fauli rieb sich die Äuglein, ganz wach fühlte er sich noch immer nicht. Da blitzte es golden vor ihm auf. »Wow! Was baumelt denn bei dir um den Hals?«

Bonita sprang übermütig auf und ab, sodass es schellte. »Das ist meine Glocke, sie hängt an einer goldenen Kette! Hör, wie schön sie klingt! Sie ist neu, hab ich zu Weihnachten bekommen.«

»Weih…Weihnachten?«, stotterte Fauli. »Was bitte soll ein Weihnachten sein?«

Da strich die Katze Schnurli um Bonitas Beine. »Sag, du kennst kein Weihnachten?«

Fauli schüttelte den Kopf.

»Weihnachten ist wundervoll!«, rief Bonita aus. »Da riecht es nach leckeren Gewürzen, die Portion Heu ist besonders groß, und man bekommt Geschenke.«

»Ich hab eine extra Schale Milch erhalten und ein weiches Kuschelbett. Die Menschen haben Lieder im Haus gesungen, und Kerzen angezündet. Nun, die sind mir nicht ganz geheuer, hab mich schon einmal verbrannt.« Schnurli schleckte am Rücken über ihr Fell. »Zum Glück ist alles nachgewachsen.«

Bonitas Blick wurde versonnen. »Am Abend, als es finster war, hab ich mit Lancelot in den Nachthimmel geschaut, über uns ein funkelnder Sternenteppich. Soooo romantisch!«

Schnurli kicherte. »Nach deinem Bauch zu urteilen, war es etwas mehr als romantisch.«

Bonita senkte den Kopf, gab der frechen Katze mit den Hörner einen Schubs. »Bist nur neidisch, weil dich der Kater Morli nicht beachtet hat. Ich freu mich auf ein Zicklein, ganz gleich ob Mädchen oder Bub. Vielleicht werden es ja auch zwei!«

Schnurli fauchte. »Ich bekomm den Morli schon dazu, dass er mich mag.« Sie putzte ihre Pfoten, strich das dreifarbige Fell besonders glatt, reckte stolz den Kopf. »So eine wie mich, findet er nirgends im Dorf!«

»Der Morli wär schön blöd, wenn er eine andere nimmt«, stimmte da Fauli ernst ein. »Aber was ihr da erzählt, von Geschenken und Essen, das klingt wundervoll. Doch …« Er seufzte bedrückt. »Ich habe noch nie zu Weihnachten etwas bekommen. Wusste gar nicht, dass es so etwas gibt.«

»Um Geschenke zu bekommen, muss man auch einen Wunschzettel schreiben«, bemerkte Bonita. »Der gelangt zum Weihnachtsmann.«

Schnurli nickte zustimmend. Im Hintergrund blökte Bummel Schaf. »Was redet ihr denn da?« Der Widder wälzte seine weiße Wolle an der Mauer. Er freute sich auf eine baldige Schur, denn es juckte ihm furchtbar auf der Haut. Außerdem würde er dadurch weniger kugelrund aussehen. »Der Wunschzettel gehört ans Christkind geschrieben!«

»Weihnachtsmann oder Christkind, das ist ganz egal«, ereiferte sich Schnurli.

»Und ihr denkt, wenn ich einen Wunschzettel schreibe, dann gibt es auch für mich etwas?!«, rief Fauli enthusiastisch aus.

»Ganz sicher.« Schnurli bemerkte an der hinteren Ecke den schwarzen Kater Morli. Er sieht her! Sie dehnte sich besonders graziös. »Du musst jedoch Geduld haben, Weihnachten gibt es nur einmal im Jahr. Bei uns am vierundzwanzigsten Dezember.«

»Oh! So lange! Aber … aber da schlafe ich doch schon!«

»Kein Problem, wird können dich ja aufwecken!« Bonita hüpfte schellend umher, weil ihr die Idee gefiel.

»Ja, bitte! Weckt mich! Nicht vergessen!« Fauli lief aufgeregt umher. »Und ich muss mir überlegen, was ich für Geschenke möchte! Hmm, Essen? Was zum Spielen? Oder zum Bauen? – Ich kann mich nicht entscheiden!«

»Du hast Monate Zeit, bis es so weit ist.« Schnurli schielte zu Morli. Er balancierte über die schmalste Stelle des Futtertrogs, wollte zu ihnen herüber. Sie bewunderte, wie sich seine Muskeln dabei spannten. Im ganzen Dorf war er der stärkste Kater, nahm es sogar mit Ratten auf. Zudem kletterte er bis zu den höchsten Baumkronen empor. So mutig war sonst keiner!

Fauli stoppte mit seinem Trippeln. »Aber … aber, wenn ich jetzt bereits einen Wunschzettel wegschicke, vielleicht bringt mir der Weihnachtsmann die Geschenke früher. Oder das Christkind? Es ist zumindest einen Versuch wert, oder? Wisst ihr, wo sie wohnen?«

Bonita schüttelte den Kopf, was erneut die Glocke zum Klingeln brachte.

Morli kam neugierig näher. Schnurli machte einen Katzenbuckel, nahm mit Absicht eine Abwehrhaltung ein, um seinen Jagdinstinkt anzuheizen. Sie drehte ihm die Kehrseite zu, wandte sich an den Igel. »Die Menschen haben mal erzählt, dass der Weihnachtsmann aus dem Norden kommen soll. Aber mehr weiß ich leider nicht. Das soll weit weg sein.«

»Das ist der Santa Claus«, schnurrte Morli. »Unser Weihnachtsmann ist im Süden daheim.«

»Jetzt kenne ich mich gar nicht mehr aus!«, rief Fauli verzagt.

Bummel trat heran. »Mach dir keinen Kopf. Für so etwas gibt es ein Weihnachts-Postamt, das bringt es an die richtige Stelle. Ob das schon offen hat? Hmm, das glaub ich nicht.«

»Mir egal, ich probier’s trotzdem!« Fauli flitzte los. Ich brauch ein großes Blatt, und was zum Schreiben!

Bonita schüttelte den Kopf. »So ein verrückter Kerl!« Sie lachte meckernd. »Noch nie gab es die Präsente früher. Das muss ich meinem Liebsten erzählen.«

Schnurli kicherte. »Wer weiß, vielleicht hat er es bis dorthin vergessen.«

»Und wie will er zum Weihnachtspostamt kommen?«, hakte Morli nach.

»Das muss nicht deine Sorge sein.« Schnurli stellte stolz den Schwanz auf, Schritt mit schwingenden Hüften zur Stalltür hinaus, und spürte ganz genau, wie sehnsuchtsvoll Morli ihr nachblickte.

Bummel stieß den Kater an. »Die will dich!«

Morli schüttelte den Kopf. »Das glaub ich nicht, sie ist sauer auf mich, weil ich den Winter lieber schlafend auf dem Kratzbaum verbracht, und mein Essen nicht mit ihr geteilt habe.«

»Ha«, Bummel lachte. »Weiber! Schnurli will dir ein schlechtes Gewissen machen, damit du dich besonders bemühst. Bring ihr die größte Maus, und du wirst sehen, ihr Herz steht in Flammen.«

 

Faulis Wunschzettel

Rike blinzelte aus der Ritze hervor. »Fauli, was machst du denn da?«

»Lenk mich nicht ab!« Er nagte an einem Stängel Schöllkraut, das bitter schmeckte. An der Spitze glitzerte ein goldgelber Tropfen, und vor ihm lagen frische Blätter.

Rike krabbelte neugierig näher. »Hungrig bist eh nicht?«

Fauli seufzte. »Nein, und so hungrig kann ich gar nicht sein, dass ich mich an dir vergreife. Wie lange sind wir schon Freunde? Eineinhalb Jahre!«

»Stimmt, nicht einmal, als ich eine wehrlose Larve war, hast du mich verspeist, sondern mich am Blatt des Holunderstrauches kleben lassen. Obwohl, wenn du aus deinem Winterschlaf erwachst und so gierig schaust, fühl ich mich etwas unsicher.« Rike stieg auf das Weidenkätzenblatt und las die Überschrift: »Wunschzettel? Was soll das bitte sein?«

Fauli atmete tief durch. »Kennst du auch kein Weihnachten mit den tollen Geschenken?«

Rike schüttelte verneinend den Kopf.

»Siehst du, und genau deshalb schreib ich diesen Zettel, weil ich nicht möchte, dass wir Winterschläfer stets darum umfallen.«

Fauli setzte den Stiel des Schöllkrauts an und notierte:

Lieber Santa Claus im Norden,

lieber Weihnachtsmann im Süden,

liebes Christkind zwischen den Wolken,

ich habe erst heute davon erfahren, dass es euch gibt.

Vielleicht braucht meine Bitte auch den Zusammenschluss von euch dreien, denn ich wünsche mir sehnlichst, dass ihr einmal nicht im Winter kommt. Bonita und Schnurli haben so von den tollen Geschenken geschwärmt. Ich hab gespürt, dass diese Zeit eine besondere Magie ausstrahlen muss, das würde ich gerne erleben. Dabei weiß ich gar nicht, was ich mir wünschen soll. Wenn ich durch die Natur streife, bin ich glücklich. Ich brauche keine neue Glocke, wie Bonita, die ist viel zu laut. Auch keine Schale Milch, davon bekomme ich immer schreckliche Bauchschmerzen. Zum Essen finde ich genug.

Fauli blinzelte zu Rike, die erschrocken einen Satz zurückmachte, als ob er damit sie gemeint hätte. Er brach ein Stückchen des Schöllkrautes ab, um an den frischen Saft zu gelangen und schrieb weiter.

Doch, da fällt mir etwas ein. Ein einziges Mal würde ich gerne ein Weihnachtsfest mit meinen Freunden feiern. Ich will es nicht verschlafen, sondern ich möchte, dass wir uns alle bei der großen Lichtung versammeln. Dort ist es besonders schön. Am Tag blitzen die Sonnenstrahlen durch die Nadeln sowie Blätter der Bäume hindurch, und nachts ist es wie ein wärmender Schutzwall!

Ich bitte euch, vergesst nicht auf meine Freunde und mich.

Ich danke euch von Herzen,

Euer Igel Fauli

 

Rike nickte anerkennend. »Das hast du gut geschrieben, aber was machst jetzt mit dem Zettel. Bis im Winter ist das Blatt ganz welk und die Schrift kann dann kein Mensch mehr lesen.«

»Ich gehe auch gleich jetzt damit los.«

»Wie los?« Rike flog aufgeregt eine Runde um den Igel.

»Zum Weihnachts-Postamt.« Fauli verschwieg, dass Bummel gemutmaßt hat, dass es gar nicht geöffnet war. Ich probier es trotzdem! Entschlossen rollte er das Blatt zusammen, drapierte es zwischen seinen Stacheln.

»Und wo soll das sein?«

»Ich frag mich durch.«

»Das ist aber schon ein bisschen vage, oder?«

Fauli legte den Kopf schief. »Ich geh einfach einmal nach Norden, folge dem feuchten Moos am Tag, und in der Nacht dem Polarstern. Der ist nicht zu verfehlen.«

»Das klingt zumindest vernünftig.«

»Magst mitkommen?«

Rike surrte erschrocken auf. »Ich, mit meinen kleinen Flügelchen? So eine Strecke schaffe ich nie. Aber weißt du was, ich verspreche dir, dass ich hier auf dein Quartier aufpasse, es sauber halte und keinen anderen hereinlasse.«

»Das ist lieb, mein Porschelein.« Fauli lächelte. »Wünsch mir Glück!«

»Viel Glück! Und toi, toi, toi.«

 

Weihnachts-Postamt

Fauli stoppte an einem Wasserlauf. Vorsichtig streckte er die Zunge raus und schlapperte eifrig das frische Nass. Es schmeckte nach Forellen, und … »Igitt!«, rief er aus. »Pisse!«

»Muh! Stell dich nicht so an!«, rüffelte ihn Sterndl Kuh in der Nähe.

»Konntest du nicht warten, bis ich fertig bin?«

Sterndl schüttelte wild den Kopf, ihre Hörner wirkten dadurch furchteinflößender, sodass Fauli zur Sicherheit ein paar Stacheln in Abwehrstellung brachte.

»Entschuldige. Muh! Ich bin schon alt, meine Blase funktioniert nicht mehr einwandfrei.«

Fauli musterte Sterndl. Ihr Fell hatte weniger Glanz als im vorigen Jahr. Das Euter wirkte nicht mehr so straff, sogar die Knochen standen etwas hervor. Er ließ die Stacheln sinken.  »Nein, ich muss mich entschuldigen. Bist du krank?«

Sterndl ließ sich ächzend auf dem Boden nieder, sodass die Erde zu Faulis Füßen bebte. »Kann sein, ich weiß es nicht. Der Bauer schaut auch schon ganz traurig. Oft hab ich gar keinen Appetit mehr.« Eine einzelne Träne löste sich aus ihrem großen blauen Auge, zog eine Spur in ihr Gesicht, ehe es versickerte, wie ein Regentropfen auf der Erde. »Aber mach dir keine Sorgen. Sag Fauli, was machst du eigentlich hier? Normalerweise gehst du nicht so weit vom Stall weg.«

»Ich such das Weihnachts-Postamt!«, stieß er stolz aus. »Möchte einmal mit euch allen gemeinsam feiern, ohne dass ich wie im Koma liege und schlafe.«

Sterndl blies ihn an, sodass seine Stacheln kurz aufschauerten. »Das nächste Weihnachtsfest werde ich nicht mehr erleben.«

»Nein, sag so etwas nicht!«

»Doch, doch. Ich spür das, in meinen Gliedern.«

»Kann ich irgendetwas für dich tun?«

Sterndl schaute über die Wiese. Als sie ihr Stierkalb Stoppel ungestüm herumlaufen sah, lächelte sie.  »Nein, Fauli – ich hab bereits alles in meinem Leben bekommen, was man sich wünschen kann. Hab eine schöne Reise.«

»Danke dir, Sterndl, genieß die Zeit, die dir bleibt.«

»Das werde ich tun.«

 

Fauli war völlig erledigt, seit Stunden unterwegs. Er ächzte. Inzwischen hatte sich der Tag verabschiedet und war der Dämmerung gewichen. Er saß auf einem kleinen Felsen, der noch ein wenig Wärme abstrahlte, aber bald müsste er sich ein Quartier suchen. Es war in der Nacht doch noch empfindlich kühl, was seine Beinchen steif machten.

Über ihm glitt ein Flügelhauch hinweg, goldene Augen zeigten sich und entließ ein »Uhu!«

»Philosophia«, sprach Fauli müde. »Erschreck mich nicht, ich weiß eh, dass du es bist.«

Es flatterte gleich neben ihm. »Was treibst du denn hier?«, fragte sie scharf nach, als sie sich in seiner Nähe niederließ. »Willst auf dem Stein einschlafen. Für lange Wanderungen ist nicht die passende Zeit! Zumindest für dich!«

»Ich muss aber!«

»Nichts kann so wichtig sein, um dafür sein Leben aufs Spiel zu setzen!«

»Doch, ich muss das Weihnachts-Postamt finden!«

Philosophia zog eine Augenbraue hoch. »Ich glaube, du hast Fieber!«

»Nein. Ich weiß, dass das Weihnachtsfest erst im Winter ist. Aber da schlafe ich, deshalb dachte ich, wenn ich schon jetzt einen Wunschzettel schreibe, vielleicht gibt es dann die Geschenke früher, wo ich noch wach bin. Steht alles in meinem Brief.« Fauli deutete schwach auf das Blatt zwischen seinen Stacheln.

»Darf ich es lesen?«

Als Fauli nickte, zog sie es mit ihrem Schnabel hervor, überflog den Text. Sie kratzte sich mit der Feder am Kinn. »Nun, die Idee ist nicht schlecht. Aber Junge, vom Postamt bist du noch weit entfernt. Da bin ich mit meinen Flügelschwingen viel schneller.«

»Du?«

Sie nickte bedächtig. »Überlässt du mir den Wunschzettel? Dann werde ich dafür sorgen, dass es verlässlich an die richtige Stelle kommt. Ich habe viele Tanten, Cousinen, Freunde unter den Vögeln.«

Hoffnungsvoll ruckte Faulis Kopf hoch. Seine Füße taten ihm weh. Philosophia hatte recht, nach dem Winterschlaf war er längst für keinen Gewaltmarsch bereit, musste sich erst wieder die fehlenden Gramm anfressen, außerdem machten ihn die kühleren Temperaturen so müde. Er gähnte. »Das würdest du übernehmen?«

»Natürlich. Aber eines kann ich dir gleich verraten, früher bekommst du die Geschenke sicher nicht. Stell dir vor, die müssen für die gesamte Welt Präsente anfertigen. Für Mensch und Tier. Auch wenn sich das der Weihnachtsmann, der Santa Claus und das Christkind aufteilen, bedeutet das eine immense Arbeit. Die sitzen schon jetzt mit ihren Wichteln und Engeln bei den Plänen. Die müssen bauen, schrauben, leimen, falten, zeichnen, Listen anfertigen, testen … alles ist durchgetimt.«

Fauli machte große Augen. Das machte Sinn! »Aber ich will ja gar keine Geschenke, sondern mit meinen Freunden feiern.«

»Auch um Feste zu feiern, benötigt man ein paar Dinge: Essen, Trinken, Servietten, und besonders zu Weihnachten: Sterne, Lichter, Weihrauch, Kekse … Immerhin sollen sich deine Freunde wohlfühlen, oder?«

Fauli nickte traurig. »Sag doch gleich, dass das eine Schnapsidee war.«

»Schnapsidee? Nein, ganz sicher nicht. Ich finde sie toll. Und wenn ein Wunder möglich ist, dann ganz bestimmt zu Weihnachten.«

»Meinst du?«

Philosophia lächelte aufmunternd. »Ja, verlass dich auf mich.« Sie rollte das Blatt zusammen, steckte es unter ihren Flügel. »So, und nun ab mit dir zwischen die Steine. Schlaf dich richtig aus. Und morgen gehst du schön heim! Denn wenn dich ein fremder Waldkauz entdeckt, könnte dein letztes Stündlein schlagen. Und bleib ja der Straße fern, du weißt, diese rollenden Monster fahren schneller als du laufen kannst.«

»Ja, danke dir.« Fauli gähnte erneut, zwängte sich durch die Steinnischen hindurch, fand darin eine kleine Höhle und rollte sich zu einer Kugel zusammen.

 

»Bist du schon zurück? Hast du das Weihnachts-Postamt schon gefunden?« Rike setzte sich auf Faulis Nasenspitze. So mutig war sie selten.

»Schön wär’s. Ich hab es kaum bis ans Ende vom Dorf geschafft. Es ist viel zu weit weg, das hat auch Philosophia gesagt.« Fauli streckte alle viere von sich, legte den Kopf am Boden direkt in den Staub ab. »Aber sie will mir helfen, und den Brief mit ihrer Familie und Vögelfreunden hinbringen. Denkst du, dass sie es schaffen? Was ist, wenn der Brief zu spät kommt, oder verloren geht? Aber vielleicht wollte sie mir einfach nicht sagen, dass das unmöglich ist.«

»Es zählt der Versuch«, sprach Rike ihm gut zu, kitzelte ihn mir ihren Flügelchen, bis er lachte. »Und was soll unmöglich sein? Schau uns an! Wir sind Freunde, obwohl ich auf deinem Speiseplan ganz oben stehe. Dazu durfte ich nach dem zweiten Winter aufwachen. Normalerweise wird diese Gnade nur meinen Vettern Vierzehnpunkt oder der entfernten asiatischen Verwandtschaft zuteil. Bin ich deshalb traurig, weil ich weiß, dass es mein letzter Frühling, Sommer und Herbst sein wird? Nein. Im nächsten Monat, sobald das Wetter beständiger ist, beginne ich mit der Eiablage. Voriges Jahr habe ich dreihundertfünfzig geschafft. Ich hoffe, dass ganz, ganz viele kleine Rikes oder Rikos sich daraus entwickeln. Vielleicht findest eine neue Freundin bei meinen Nachkommen, falls du sie nicht eher verspeist.«

»Das ist nicht lustig. Ich will dich nicht verlieren.«

»Ach Fauli, wenn ich könnt, würde ich dich jetzt fest umarmen. Aber auch wenn ich eines Tages nicht mehr hier sein sollte, bleibe ich doch in deinem Herzen, oder?«

»Ja, sicher. Immer!«

»Siehst du, deshalb zieh keine lange Miene. Geh hinaus, freu dich an unseren Schönheiten und am Leben! Das bedarf keiner großen Geschenke oder Feiern.«

 

Frühling, Sommer, Herbst

Fauli lief über die Wiese. Er fühlte sich gut. Sein Gewicht war passend und die Stacheln spitz. Er hatte auf Rike gehört, und gelebt. Zwischen blühenden Wiesen, duftenden Pflanzen, welkenden Gras.

Bonita hatte inzwischen ein Kitzlein bekommen, auch Schnurli war Mama gleich von fünf Katzenjungen geworden. Vier Rabauken sahen wie der Kater Morli aus, und nur ein Kätzchen schlug nach ihr.

Rike hatte die Eiablage vom vorigen Jahr übertroffen. »Dreihundertneunundneuzig!«, hatte sie gerufen. »Aus vorbei, kein Ei kommt mehr hinzu.« Längst waren diese zu Larven geworden, und inzwischen Marienkäfer entstanden. Sie suchten eifrig im Rosenstock und inmitten der Tomatenpflanzen des Bauerns nach Blattläusen.

Wohlweislich hatte Fauli alle dieser Art von seinem Speiseplan gestrichen, denn niemals wollte er einen Nachkommen von Rike erwischen, das verbot er sich selbst.

»Es ist herrlich.« Seine Freundin klang etwas matt. »Schau, wie bunt die Blätter werden.«

»Ja, der Herbst ist da. Und es wird nicht lange dauern, dann ist es Winter.« Fauli blinzelte zu ihr. »Du solltest dich besser in einer Ritze verkriechen, oder unter einem Stück Rinde, nicht dass dich ein Vogel erwischt.«

Rike zuckte mit den Schultern. »Besser mich als eines meiner Kinder. Sag, hast du eigentlich schon eine Antwort auf deinen Brief bekommen? Oder mit Philosophia gesprochen?«

»Ich weiß nur, dass sie den Brief an die richtige Stelle gebracht hat. Aber mehr nicht. Ganz ehrlich, ich glaub auch nicht, dass wegen meiner dummen Zeilen Weihnachten früher stattfinden würde.«

Rike flatterte müde auf Faulis Näschen. »Kannst du mich ein Stück mitnehmen. Ich würde noch einmal gerne um den großen Teich fliegen. Aber ich schaff es nicht. Ich denke, ein Wetterumschwung kommt, es zieht so stark in meinem Chintinpanzer.«

Fauli schluckte, spürte, dass es gar nicht gut um seine Freundin stand. Wie lange sie wohl noch durchhält? Er verdrängte die aufsteigenden Sorgen, lief gemächlich los, nicht zu schnell oder hastig, damit es nicht zu sehr für sie holperte. Er ging mit ihr auf den Holzsteg, der etliche Meter vom Ufer wegführte. Gemeinsam blickten sie ins schimmernde Wasser.

»Oh!«, rief sie aus. »Hier gefällt es mir. Ich krabble runter.«

»Pass ja auf, dass du nicht durch die Ritze ins Wasser fällst.«

»Ich mag es, wenn der Wind so lau über mich streicht. Hör, wie schön die Vögel zwitschern. Die Grillen zirpen! Bleib ein bisschen bei mir«, bat sie und ging nicht auf seine Worte ein. Rike lehnte sich an Fauli, fand Schutz zwischen seinen Stacheln. Ihr Atem ging schwerer als für gewöhnlich.

»Glaubst du eigentlich an den Tierhimmel?«, fragte Fauli mit halberstickter Stimme.

»Aber sicher, mein Dummerchen. Er ruft mich, ganz laut. Und wenn ich oben bin, nun vielleicht treffe ich auf einen Engel, der mich zum Christkind bringt, dann erzähl ich ihm von dir, und dass du mit deinen Freunden ein Weihnachtsfest feiern möchtest.«

Fauli schniefte. »Mir wäre es lieber, du bliebest bei mir.«

»Das tue ich doch. Und nun psst, lass mich ein bisschen den Stimmen der Natur lauschen.«

Fauli nickte stumm. Der Kloß in seiner Kehle verhinderte ohnehin, dass er ein weiteres Wort herausbrachte. Er saß gemeinsam mit der Freundin am Steg, hörte das Wasser gegen die Holzpfosten klatschen. Irgendwo bellte ein Hund. Langsam frischte der Wind auf, blies ein Herbstblatt an seine Seite.

»Schau Rike! Dieses Blatt, richtig rot-golden! So schön!«

Seine Freundin reagierte nicht.

»Rike? Rike!« Er hastete hoch, da lag sie, leblos. Vorsichtig stupste er sie an. Nichts! Ich hab es nicht bemerkt! »Rike!«, heulte Fauli. Er schniefte, als er sie sachte auf das rot-goldene Blatt legte. Es war ihm, als hätte die Natur ein letztes wundervolles Schiff geschickt, damit sie heimkehren könnte, in eine andere unbekannte Welt.

»Hab eine schöne Reise. Vielleicht sehen wir uns irgendwann im Himmel wieder. Ich werde dich vermissen.« Langsam setzte er das Blatt auf dem Wasser ab, sah zu, wie es von den Wellen sanft vorangetrieben wurde, dem Sonnenuntergang entgegen.

 

Eine Kälte

Bebend ging Fauli im Stall umher. Der Winter kratzte unablässig an die Tür. In der Früh gab es Frost, und er konnte schon den Schnee riechen, den es auf den Bergen gab, und bald wohl es auch bis in die Täler schaffen würde. Viele seiner Igel-Kollegen hatten sich ihr Quartier gesucht, schliefen. Doch für einen Winterschlaf hatte Fauli zu wenig Fett angesetzt. Seit dem Tod seiner Freundin brachte er kaum einen Bissen hinunter.

Das war auch Schnurli aufgefallen, die sogar extra etwas von ihrem Katzenfutter übrigließ, das sie vom Bauern bekam, damit er nicht völlig abmagerte.

»Hier, für dich. Lang ordentlich zu!«, befahl sie streng. Seit sie Kinder hatte, hatte sie den Befehlston perfektioniert, sodass Gegenwehr nie lange hielt.

Fauli schüttelte den Kopf. »Ich kann dir nicht immer alles wegessen.«

»Papperlapapp. Ich brauch nur ein bisschen Mauzen, und dem Bauern schnurrend um die Füße streichen und es gibt Nachschub.«

»Sicher?«

Schnurli nickte. »Jetzt mach schon.«

Fauli steckte die Nase in den Napf hinein, probierte vorsichtig mit der Zunge. »Mhm, das ist mit Lachs!«

Schnurli kicherte. »Wie es ausschaut, hast du doch deinen Appetit wieder. Die Natur kann man nicht austricksen.«

»Stimmt. Aber eigentlich will ich gar nicht schlafen, obwohl ich schrecklich müde bin. In wenigen Tagen ist der vierundzwanzigste Dezember. Und wer weiß, ob ich nach dem langen Winter wieder wach werde. Womöglich folge ich Rike in den Tierhimmel hinauf.«

»Jetzt sei kein Pessimist! Und außerdem, wir werden dich ganz sicher wecken. Da verpasst du garantiert nichts!«

Fauli aß gierig den Rest leer. »Das habt ihr damals schon gesagt.«

»Dann glaub es uns endlich.«

 

Schlafen wie ein Toter

»Psst, leise«, sprach Bonita, als sie gemeinsam mit ihren Freunden in die Tenne trat.

»Leise?« Lancelot grinste. »Wir wollen ihn aufwecken, da dürfen wir laut sein! Und deine Glocke scheppert ohnehin schon von weitem.«

Sie entließ ein genervtes Meckern. »Und das stört dich neuerdings?«

Lancelot hustete. »Nein, sie ist wunderhübsch.«

»Könnt ihr eure Diskussion auf später verschieben. Zuerst schauen wir, ob Fauli auch wirklich im Nest ist.« Bummel drängte sich an ihnen vorbei, schob vorsichtig mit seinem Dickschädel den runden Heuballen zur Seite.

»Mhm, Essen!« Das kleine Kitz Aurora düste los, schmatzte gleich das feine Heu.

»Nein, nicht!«, rief Bonita streng. »Immer machst du faxen. Das ist Faulis Bett!«

»Au!«, stieß Aurora weinerlich aus. »Etwas hat mich gestochen. Gibt es hier Dornen?«

»Nein, das ist Faulis Abwehr, damit solch gefräßige Monster wie du, ihn nicht mitaufessen«, fauchte Morli ernst.

Schnurli trat näher. »Zumindest sehen wir ihn jetzt. Fauli, hörst du mich?«

Nichts.

»Fauli!«, rief sie lauter.

Der Igel reagierte nicht.

»Kommt, lasst uns gemeinsam rufen!«, forderte sie auf.

Schurli und Morli versammelten sich mit ihren Katzenkindern ganz in der Nähe. Lancelot, Bonita und Aurora stellten sich gleich dahinter, und auch Bummel trat hinzu.

»Auf drei«, wies Schnurli an. »Eins, zwei, drei – Fauli!!!!!!!«

Es zeigte keinen Erfolg. Fauli blieb bewegungslos auf derselben Stelle.

»Ob er überhaupt noch lebt?« Morli umkreiste ihn, anzutippen traute er sich wegen der spitzen Stacheln nicht wirklich.

Schnurli legte den Kopf schief, schnupperte. »Er riecht zumindest lebendig, auch wenn er Fauli heißt.«

»Eigentlich riecht er lecker!«, warf da ein Katzenjunges ein, und schleckte sich übers Mäulchen.

Schnurlis tadelnder Blick ließ es aber geschwind nach hinten sausen und mauzte: »Zuschauen, wenn er schläft, ist fad, kommt lasst uns spielen.«

Es musste die Geschwister nicht lange dazu auffordern, sondern schon huschten sie gemeinsam durchs Heu, krabbelten in ein Loch, kamen verstaubt mit Spinnweben heraus, um gleich darauf eine andere Ecke zu erkunden.

»War das ein Atemzug?«, stieß da Schnurli aus.

Sie stierten ihn für etliche Sekunden an, ohne dass Fauli sich bewegte.

»Ich glaube, dass Igel ihren Kreislauf völlig runterfahren können, da müssen sie weniger häufig atmen«, meinte Bummel ernst.

»Tja macht es dann überhaupt Sinn, ihn aufzuwecken?«, fragte Morli.

»Wir haben es ihm versprochen!« Bonita stapfte energisch in den Boden.

Lancelot stieß den Igel leicht mit seinen Hörner an, rollte ihn aus dem kuscheligen Nest über dem Boden. Fauli blieb unverändert kugelrund.

»Mist, auch das hilft nicht!« Schnurli schüttelte den Kopf. »In ein paar Stunden ist Weihnachten. Er darf das nicht verpassen! Bei der Lichtung ist es nachts so wunderschön!«

»Wir könnten ihn ja so mitnehmen, vielleicht wacht er später auf!«, warf Bummel ein.

»Und wie? Mit den Stacheln können wir ihn nicht aufheben«, meinte Schnurli.

Morli tippte mit der Pfote auf sein Näschen. »Ich habe eine Idee! – Lancelot, mit deinen Hörner kannst ihn wie einen Ball hochheben, und du Bummel, du fängst ihn mit deiner Schafwolle auf! Die ist jetzt eh ganz dicht! Du spürst ja nicht einmal die Kletten der Distel, wenn sich die bei dir verfangen.«

»Perfekt, genauso machen wir es!« Bonita hüpfte froh auf und ab.

Aurora imitierte ihre Mutter, sprang übermütig um sie herum. »Mama, was denkst, bekomme ich auch so eine schöne Glocke wie du, die so lustig klingt?«

»Wenn du es auf deinen Wunschzettel geschrieben hast, stehen die Chancen sicher gut.«

»So, jetzt aber Konzentration«, warf Morli ein.

Lancelot rollte Fauli vor seine Füße, während Morli die Flugrichtung einschätzte.

»Bummel, ein bisschen nach links. Noch ein kleines Stück.« Er winkte mit seiner Pfote. »Stopp! Und jetzt dreh uns deine Kehrseite zu. Perfekt. – Lancelot, bist du bereit.«

Der Ziegenbock nickte.

»Und nicht zu stürmisch, sonst fliegt er durch die Tür hinaus in den Schnee.«

»Keine Sorge.« Lancelot nahm Anlauf, senkte den Kopf und innerhalb Sekundenbruchteile wirbelte Faulis Körper durch die Luft.

Die anderen hielten die Luft an.

»Nach links!«, rief Schnurli, da die Flugbahn leicht aus der Spur war.

Bonita gab Bummels Po einen Stubs. Da stob geschwind ein Schatten herein, fing Fauli mitten im Flug mit langen Krallen, um ihn schließlich sanft in seinem Schlaflager abzusetzen. Mit tadelndem Blick ließ sich Philosophia auf einem Heuballen nieder. »Was fällt euch ein? Wisst ihr denn nicht, dass es für Wintertiere gefährlich ist, wenn man sie aufweckt? Die Natur hat das schon richtig eingerichtet. Wenn ihr mit ihm hinaus in die Kälte geht, würde er jämmerlich erfrieren!«

Die Eule schaute in betretene Gesichter, sogar die kleinen Kätzchen hatten mit dem Toben aufgehört.

»Daran haben wir nicht gedacht«, bemerkte Schnurli. »Wir wollten bloß unser Versprechen einhalten.«

»Fauli wird sein Weihnachtsfest schon bekommen, nur eben etwas später und dann, wenn für ihn keine Gefahr besteht.« Philosophia klang wenigstens etwas weniger ärgerlich. »Und nun macht ihm ein kuscheliges schönes Nest, wie ihr es vorgefunden hat!«

Philosophia beobachtete mit Argusausgen, wie frisches Heu herbeigeschleppt wurde, Morli holte eine Schale mit Wasser, und Bummel rollte vorsichtig den Heuballen zu Faulis Schutz vor sein Bett.

 

Alles verpasst?

Fauli räkelte sich. Die Sonne blinzelte durch einen feinen Spalt in das Innere seines Schlafplatzes. Weihnachten? Hastig rappelte er sich auf, stieß gegen einen Gegenstand. »Nein, ich hab’s verpasst. Schon wieder.« Mit hängendem Kopf schleppte er das Präsent nach draußen.

»Wow! So ein schönes Papier!« Es glitzerte ihm auf einem dunkelblauen Untergrund goldene Sterne entgegen. »Rike schau!« Fauli verstummte, seinen Augen schimmerten traurig. Seine Freundin Rike gab es seit dem letzten Herbst nicht mehr. Er war allein.

Mit bebenden Füßchen öffnete er das Päckchen. Ganz oben auf lag ein riesiges Kuvert, es duftete verlockend darunter hervor. Sein Magen knurrte, er sah genauer nach: Kekse! Er konnte nicht widerstehen und probierte rasch davon. »Mhm, so lecker Mit Kokosflocken!« Seine Trauer verflog und Neugierde füllte ihn aus. Aus dem Kuvert zog er zwei Zettel hervor, er entfaltete das erste Blatt und las:

Unser lieber Fauli,

Dein Wunsch mit all den Freunden Weihnachten zu feiern, hat uns sehr gefreut. Du hast erkannt, dass es nicht um teure Geschenke geht, sondern um das Wertvollste, was man im Leben besitzt: Freunde und Familie.

Leider lässt sich weder das Weihnachtsfest verschieben, noch würde es euch Wintertiere guttun, wenn ihr nicht – so wie es die Natur vorbestimmt – euren wohlverdienten Schlaf bekommen würdet. Und glaub mir, wir – Santa Claus, Christkind, Weihnachtsmann – haben lang beraten. Aber keinesfalls sollst Du leer ausgehen, deshalb habe wir eine kleine Überraschung für Dich organisiert, die Du ein bisschen verspätet bekommst.

Wir haben einen Plan für Dich beigefügt, folge dem. Die Uhrzeit, wann Du weggehen sollst, ist darauf vermerkt. Als Wegzehrung haben wir extra viele Kekse eingepackt, die werden Dir nach dem Winterschlaf die nötige Energie geben. Bitte, sei nicht traurig, sondern genieße Dein Leben!

Es grüßen Dich ganz herzlich,

Weihnachtsmann, Santa Claus und das Christkind

 

Überraschung und ein Plan? Fauli steckte sich genüsslich noch einen Keks in den Mund, ehe er das weitere Blatt auseinanderklappte, auf dem der Plan abgebildet war.

 »He, Fauli, bist ja schon wach!« Schnurli sprang von einer Ecke hervor.  »Guten Morgen, Schlafmütze. Du hast geschlafen wie ein Toter. Tut mir leid, wir haben es nicht geschafft dich aufzuwecken.« Sie schleckte sich über ihre linke Pfote.

 »Macht nichts, schau – ich hab trotzdem ein Geschenk bekommen. Magst einen Keks probieren?«

»Sehr gerne.« Schnurli knabberte ein kleines Stück ab. »Köstlich!«

 »Gell! – Und dazu gibt es einen Plan.«

Neugierig streckte Schnurli ihr Köpfchen nach vor, begutachtete die Skizze. Ein großer schwarzer Pfeil war über dem Stall angebracht, dabei stand Abmarsch mit Einbruch der Dämmerung. Eine strichlierte Linie folgte durch den Wald, endete mit einem roten X und der Uhrzeit siebzehn dreißig. »Was hat das denn zu bedeuten?«

»Da muss ich losgehen, um meine Überraschung zu erhalten. Ich bin schon so aufgeregt, das Christkind, der Weihnachtsmann und Santa Claus haben wirklich an mich gedacht! Was mich wohl erwartet? Magst mich begleiten?«

»Das muss ich erst mit Morli klären. Und mit Einbruch der Dämmerung gibt’s immer vom Bauern die leckere Milch im Stall. Ich denke, der würde sich ganz schön Sorgen machen, wenn ich nicht komme.«

»Schade.«

»Aber weißt du was, ich hab ja jetzt den Plan gesehen. Du gehst einfach vor, und sobald ich kann, komme ich nach? Einverstanden?«

»Ja!« Fauli lächelte. »Und nimm deine Rasselbande unbedingt mit.«

»Sehr gerne, dann bis später!« Schnurli sprang davon. Sie kicherte. Heute feiern wir Faulis Weihnachten! Ich muss rasch alle zusammentrommeln!      

 

Überraschung

Fauli hatte den Plan genau studiert. Gestärkt, mit voller Kekse im Bauch, ging er los. Die Sonne nahm den altbekannten Weg am Horizont, die Strahlen verblassten und überließen der nächtlichen Schwärze das Revier.

Gut gelaunt folgte er dem beschriebenen Pfad. Als er in den dichten Wald trat, gingen kleine Lichter an. »Wow!« Er erblickte hunderte, womöglich sogar tausende Glühwürmchen, die an den Bäumen hingen und so hell erstrahlten wie Sterne. Lächelnd tippelte er weiter, folgte der beleuchteten Allee und kam zur Lichtung. Staunend blieb er stehen. Vor ihm breitete sich ein weißes Feld aus. Er schaute genauer, erkannte, dass die Waldlichtung mit weißer Wolle ausgebettet war, als wäre es Schnee.

Wie auf weichen Wolken steuerte auf die Mitte zu. Es begannen die Vögel ein weihnachtliches Lied zu trällern, begleiteten ihn mit ihrem Singsang. Er gelangte zur riesigen Tafel. Nach und nach traten Freunde aus dem Dickicht hervor, stimmten in das Stille Nacht – Heilige Nacht mit ein. Fauli erkannte Schnurli und Morli mit ihrer Kätzchenschaar, Bummel, Stoppel, hunderte Marienkäfer – die Nachkommen von Rike, Bonita und Lancelot mit ihrem Kitz Aurora, das schon zu einer richtigen Geißdame herangewachsen war. Hoch oben saß Philosophia auf einem Baum, schwang im Takt zur Melodie die Flügel.

Fauli traten vor lauter Freude die Tränen in den Augen. Er war verzaubert vom weihnachtlichen Duft ringsum. Es brannten Kerzen, es roch nach Weihrauch und Zimt. Auf der Tafel befanden sich aneinandergereiht Keksteller, Nüsse, Äpfel und Tee. Dazwischen lagen Strohsterne und bunte Weihnachtskugeln. Weitere Tiere traten heran: Füchse, Hasen, Schnecken, Marder, Dachse, … alle in friedlicher Zweisamkeit. Der größte Baum von allen war mit Glühwürmchen geschmückt, als wäre er von einer Lichtkette umwickelt.

Philosophia schwebte herab, ließ sich neben Fauli nieder. »Ich wünsche dir ein wunderschönes Weihnachtsfest, mein kleiner stacheliger Freund.«

»Ich danke dir, für alles.«

»Nein, danke mir nicht. Es war deine Idee.«

»Darf ich noch etwas sagen, an alle?«

Philosophia nickte. Fauli krabbelte auf den Tisch. »Ich danke euch, meine lieben Freunde. Für eure Zeit und euer Kommen. Leider können nicht mehr alle mit uns feiern, meine Freundin Rike und Alma vermisse ich schrecklich, und bestimmt kennt ihr auch jemanden, den ich gerne hier hättet. Lasst uns danke sagen, für all die Momente, die wir mit unseren Lieben verbringen durften.«

Zustimmendes Gemurmel erklang. Fauli zwinkerte eine Träne weg. Ob aus Freude oder Trauer konnte er nicht so genau sagen.

»Es ist ein Wahnsinn, was ihr für mich gemacht habt, für meinen Wunschzettel. Ihr seid die Besten. Ich danke euch von Herzen. Und nun, greift zu, lasst uns feiern.« Er hob das Glas vor ihm am Tisch, auch die anderen griffen nach ihren Getränken. »Auf die Liebe, Freundschaft und auf ein wunderbares Leben! Prost!«

 

Sie prosteten einander zu, feierten bis in die Nacht und empfanden mitten im Frühling die Magie von Weihnachten.